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Authentische Darstellung des Frühmittelalters

Für die Seite "Über uns" haben wir eine schöne Zeichnung eines fränkischen Gehöfts der Merowingerzeit gefunden

Authentische Darstellung des Frühmittelalters

Die ernsthaften Mittelalterdarsteller diskutieren gerne und heftig über eine authentische Darstellung des Frühmittelalters, wobei „authentisch“ ohnehin ein wenig hilfreicher Begriff ist. Eine wirklich authentische Darstellung ist mangels ausreichender Belege und der Unterschiede zwischen damaligem und heutigem Wissensstand und Kulturverständnis schlichtweg nicht möglich. Jede Form der Darstellung früherer Zeiten ist somit zwangsläufig immer ein stückweit subjektive Interpretation. Trotzdem haben wir uns natürlich den Kopf zerbrochen, wie wir unsere Darstellung definieren. Wir maßen uns keinesfalls an, mit den Ausführungen auf dieser Seite eine allgemeingültige Aussage zu treffen. Andere verfügen über viel mehr Wissen, Fertigkeiten und auch Willen, es möglichst exakt zu machen. Wichtig war für uns aber eine nachvollziehbare Festlegung als Grundlage für die künftige Entwicklung unserer eigenen Darstellung. Zum Thema können wir einen Sonderausdruck der Albert-Ludwig-Universität Freiburg empfehlen. Dieser hat uns bei unserer Findung sehr geholfen. Das Dokument kannst du unten bei den Quellenangaben auch herunterladen.

Chronologische Einordnung von Grabfunden

Bei der chronologischen Einordnung von Grabfunden ist allgemeinhin Vorsicht geboten. Der (durchaus kontrovers diskutierte) Historiker Heiko Steuer führt das in diesem Sonderdruck nachvollziehbar aus. Wir zeigen hier nur eine Grafik, die das verdeutlicht:

Grafik aus dem Sonderdruck der Albert-Ludwig-Universität Freiburg über die Einordnung von Grabfunden der Merowingerzeit in chronologische Stufen
Umlaufs- und Vergrabungszeiträume von Altertümern

Ein Gegenstand, der bei Ausgrabungen entdeckt wird, war also bei seinem Erwerb womöglich bereits seit über 50 Jahren gebräuchlich. Nehmen wir mal Kunolf als Sippenältesten mit Mitte 50 und datieren die Darstellungszeit auf 620. Er benutzt nach Steuer also durchaus Gegenstände, die er beispielsweise als 1-jähriges Kind geerbt hat. Sie können also schon erstmals um 520 aufgetaucht sein. Und vielleicht wird er diese nochmals weitergeben…

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand, der einen gerade erfundenen Gegenstand erwarb, starb, diesen Gegenstand mit ins Grab bekam und dieses dann auch gefunden wurde? Im Verhältnis zu der tatsächlichen Anzahl an Bestattungen ist die der Funde eher gering. Der genannte Fall wird unserer Meinung nach also nur ganz ausnahmsweise aufgetreten sein.

Unsere Überlegung zielt also grundsätzlich darauf ab, dass nur ein kleiner Bruchteil der – in der von uns dargestellten Zeit – genutzten Gegenstände über Grabfunde dokumentiert werden konnte. Demzufolge interpretieren wir eine tatsächliche Nutzung von Gegenständen vergleichsweise großzügig.

Die Darstellung zweier fränkischer Frauen in der typischen Kleidung  Anfang des VII. Jh.
Authentische Darstellung des Frühmittelalters am Anfang des VII. Jh. (Quelle: Sofka Müller)

Qualitative Unterschiede bei den Bevölkerungsschichten

Ein weiterer Umstand erschwert die richtige Einschätzung der Verbreitung von Gegenständen infolge von Grabfunden und eine authentische Darstellung des Frühmittelalters: Insbesondere Gräber des Adels waren reichhaltig geschmückt. Dies erklärt lässt sich aus der besseren finanziellen Situation dieser Schicht durchaus. Steuer erläutert die übliche Sitte, verstorbenen Adeligen besonders alte und wertvolle Gaben mit ins Grab zu geben. Auch gab es beim Adel eigens für die Bestattung angefertigte Gegenstände.

Im Gegensatz dazu waren die Grabbeigaben finanziell weniger gut situierter Familien spärlicher. Besaß diese Bevölkerungsschicht also keine hochwertigeren Gegenstände? Diese Ableitung halten wir für problematisch. Bei den Ausgrabungen in der Wetterau der gesamten Merowingerzeit fand sich zum Beispiel nicht ein einziger Helm. Lässt das wirklich den Schluss zu, dass in einem Gebiet zwischen Gießen und dem nördlichen Frankfurter Raum in einem drei Jahrhunderte andauernden Zeitraum kein einziger Helm genutzt wurde? Wir glauben nein und halten es für wahrscheinlicher, dass ein Helm, wenn denn vorhanden, schlicht zu wertvoll war. Der Rückschluss aus den unterschiedlich wertvollen Grabbeigaben auf den sozialen Status hingegen ist geboten. Je niedriger die soziale Stellung war, je geringer fiel die Begräbniszeremonie samt Grabbeigaben aus.

Entwicklung von Kultur und Mode

Auszug aus der Dissertationsarbeit von Georg Schmitt von 2005 über die Alamannen im Zollernalbkreis an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
Schmitt Georg – Die Alamannen im Zollernalbkreis (Auszug)

Gerade um 600 fand ein Umbruch in der kulturellen und modischen Entwicklung der merowingischen Zeit statt. Diesen hat Georg Schmitt in seiner Dissertationsarbeit über „die Alamannen im Zollernalbkreis“ von 2005 gut herausgearbeitet. Wir zeigen hier nur einen kurzen Ausschnitt dazu. Das Dokument selbst kannst du bei den Quellenangaben unten auf dieser Seite herunterladen.

Unser wohl kleiner Stamm (oder vielleicht eher einfach ein großer Familienverband) wurde nur wenige Male überhaupt erwähnt. „Ethnisch“, soweit man davon überhaupt sprechen darf, gehören wir zu den „Landern“ (lat. Landoudioer, später auch Lognai u.ä.). Diese siedelten im Bereich der oberen und mittleren Lahn und gehörten wohl seit dem VI. Jh. zu den Franken.

Die Lahn war lange Grenzgebiet zwischen Franken und Alamannen. Die Völker haben sich natürlich nicht nur bekriegt, sondern auch Waren miteinander getauscht. Außerdem darf man sich Mittelhessen im Frühmittelalter nicht so vorstellen, wie wir es heute kennen. Die Region war wahrscheinlich viel dichter bewaldet und es gab nur wenige nachgewiesene, dauerhaft besiedelte Plätze. Diese wiederum waren verstreut und wohl auch nicht sonderlich groß. Modische Veränderungen dauerten fernab der Machtzentren also wohl überwiegend eine Weile.

Unsere „authentische“ Darstellung des Frühmittelalters

Unser Darstellungszeitraum ist die Zeit von ca. 600 bis 640. Das Alter unserer Gruppenmitglieder liegt zwischen Mitte 20 und Mitte 50. Als Ergebnis haben wir den Zeitraum verwendeter Gegenstände unserer Gruppe von etwa 540 bis 640 festgelegt. Regional sollten die Gegenstände künftig vorrangig der fränkischen sowie ergänzend auch alamanischen Kultur entstammen.

Bei Gegenständen versuchen wir uns an einzelnen Grabfunden zu orientieren, da es in unserer Region kein Grab gibt, dass für sich betrachtet eine vollständige Ausstattung zeigt.

Unsere Ausstattung

Bei der Gewandung gestehen wir uns etwas mehr Spielraum zu. Einerseits gibt es nahezu keine vollständig erhaltenen Kleidungsstücke oder Bilddarstellungen aus „unserer“ Zeit, andererseits halten wir es für möglich und auch wahrscheinlich, dass wir eben nicht immer nach neuestem Stand gekleidet und geschmückt waren. Die aktuellen Kleider unserer Frauen sind streng genommen mit einer Länge bis unters Knie zu kurz für das beginnende VII. Jhd. (korrekt wäre wohl ein knöchellanges Kleid). Auf diese Weise können sie aber die schönen Wadenriemengarnituren auch sichtbar tragen. Auch auf die bereits schleierartig getragenen Kopfbedeckungen verzichten sie, das aber aus ganz praktischen Gründen. Bei der Arbeit ist ein schlichtes Kopftuch einfach weniger störend. Sie verwenden auch noch vier Fibeln. Die Vier-Fibel-Tracht geriet im letzten Drittel des VI. Jhd. aus der Mode und wurde durch eine einzige, wohl recht große Scheibenfibel ersetzt. Gleichwohl sind in der Wetterau noch einige Vier-Fibel-Ausstattungen Anfang des VII. Jh. belegt.

Auf Märkten tragen wir übrigens vorwiegend unsere „guten“ Gewänder. Anzunehmen ist aber, dass diese üblicherweise sicher in der Truhe verwahrt wurden und nur bei besonderen Anlässen Verwendung fanden. Im Alltag waren eine einfache Leinentunika bzw. ein Leinenkleid praktisch und konnten rund um die Uhr getragen werden.

Fertigung der Gewandung

Unsere Gewandungen sind derzeit noch überwiegend mit der Maschine genäht. Für unsere Gruppe war es ein großer Schritt, Kleidung überhaupt selbst herzustellen. Mangels Wissen haben wir bei der Herstellung auch technische und optische Fehler gemacht. Im nächsten Schritt wollen wir uns aber daran wagen, die Besätze (eigentlich Belege) und sichtbaren Nähte händisch zu fertigen. Die verwendeten Stoffe sind auch ganz überwiegend noch nicht pflanzengefärbt, wir kaufen allerdings nur bei einer fachlich versierten Tuchhändlerin ein. Die von uns verwendeten Farben könnten mittels pflanzlicher Färbung auch „natürlich“ hergestellt werden.

Das Lager

Die „Einrichtung“ unseres Lagers mit Zelten, Kochstelle, Tischen und Bänken hingegen ist schlichtweg erfunden. Reisende fanden seinerzeit wohl entweder ein Nachtquartier, schliefen andernfalls einfach unter einer Decke um ein Feuer oder, sofern vorhanden, unter den Karren gekauert. Es gibt jedenfalls nach unserem Wissen keinerlei Belege über ein merowingerzeitliches Zeltlager, wenn man von den Heerschauen absieht, bei der die königliche Familie und wenige ranghohe Gefolgsleute in Zelten untergebracht war. Trotzdem verzichten wir auf jederlei Verschraubungen oder moderne Befestigungen. Wir versuchen, alle Möbel derart herzustellen, wie es mit den damals vorhandenen Mitteln möglich gewesen wäre.

Das Gehöft

Wir gehen weiterhin nach aktuellem Forschungsstand davon aus, dass eine Sippe in der Region ein Gehöft oder kleinen Weiler bewohnte. Derartige „Siedlungen“ bestanden aus einem bis drei größeren Haupthäusern und mehreren Nebengebäuden (Grubenhäuser, Vorratshäuser usw.). Dort lebten etwa 20 bis 150 Menschen. Wir gehören nicht zum Adel, sind aber „frei“ im Sinne von „nicht leibeigen“. Der Begriff „frei“ wird nämlich zumeist im Sinne von „unabhängig“ missverstanden. Sowohl die immer noch vorhandenen römischen Einflüsse als auch die germanischen Stammestraditionen banden die Menschen durch Eid an ihren „Herrn“ und sie unterstanden der Befehlsgewalt eines Herzogs oder anderen Adligen. Zu unserer Sippe gehörten auch Freigelassene und Sklaven.

Umsetzung

Unser erstgenutztes Buch hinsichtlich Schmuck und Ausstattung ist das Buch „Die merowingerzeitlichen Grabfunde in der Wetterau (Materialien zur Vor- und Frühgeschichte von Hessen)“ von Andreas Thiedmann. Dieses ergänzen wir um weitere Funde in anderen Büchern/Publikationen aus dem fränkischen und alamannischen Raum. Dabei berücksichtigen wir die auf dieser Seite dargelegten Erkenntnisse.

Mit dieser Herangehensweise wollen wir eine zumindest annähernd glaubwürdige Lebensweise einer bäuerlichen Sippe dieser Zeit darstellen. Einer „authentischen“ Darstellung des Frühmittelalters entsprechen wir so zwar nicht, können damit aber gut leben.

Unseren Leitfaden über Gewandung kannst du direkt herunterladen oder im Downloadbereich auch online lesen.

Nachtrag: Wir haben in den ersten Jahren zahlreiche Gegenstände hergestellt oder erworben, die in unsere jetzige zeitliche Darstellung nicht passen. Gerade bei Schuhwerk und aufwändig hergestellten Lederarbeiten oder Keramik werden wir das Vorhandene zunächst weiter nutzen und im Laufe der Zeit bzw. bei notwendigem Ersatz zeitgemäß austauschen.

Kunolf, mit bürgerlichem Namen Markus, stöbert leidenschaftlich gern in Geschichtsbüchern und trägt seine Erkenntnisse auf unserer Website und in den Dokumentationen für die Gruppe zusammen
Kunolf

Ich finde, diese Seite verdeutlicht, dass eine authentische Darstellung des Mittelalters schwierig ist.

Bei allem Anspruch wollen wir den Spaß an der Vermittlung von Geschichte nicht verlieren und es deshalb mit der Authentizität nicht übertreiben.

Kunolf

Quellenangaben:

Steuer Heiko – Bemerkungen zur Chronologie der Merowingerzeit, (abgerufen am 22.10.2021)

Schmitt Georg – Die Alamannen im Zollernalbkreis, (abgerufen am 22.10.2021)

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